Zwischen KPIs und Call Blocking: Warum Supply Chains ihre Ziele verfehlen
- Paul Vuolle
- 13. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Seit vielen Jahren bin ich als Interim Manager und Troubleshooter in europäischen Unternehmen unterwegs. Meine Aufgabe: Wachstum generieren, Lieferketten stabilisieren, Prozesse entlasten, Kosten senken, Strukturen wieder handlungsfähig machen.Egal ob Antriebstechnik, Leistungslektronik, oder Maschinenbauer – ich sehe überall das gleiche Muster. Und das beunruhigt mich.
Operativer Overload: Wenn die Supply Chain sich selbst verwaltet
In den meisten Supply-Chain-Abteilungen herrscht Dauerbetrieb. Meetings, Reporting, Abstimmungen, KPI-Updates – und das in Endlosschleife. Und natürlich ein Power Point nach dem anderen.Was eigentlich ein strategischer Steuerungsbereich sein sollte, ist vielerorts zu einem administrativen Kraftakt verkommen. Supply Chain Manager verwalten Daten, statt Wertschöpfung zu gestalten.
Die wirklich entscheidenden Aufgaben – Signale von Markt aktiv empfangen, Lieferantenentwicklung, Marktanalysen, Risiko-Szenarien – bleiben auf der Strecke. In der Praxis heißt das: Es wird immer noch exzellent dokumentiert, wie schlecht die Lage ist, aber kaum aktiv daran gearbeitet, sie zu verändern. Zum gibt es auch gibt positive Ausnahmen.
Kommunikationsabschottung: Wenn das Telefon zum Risiko wird
Ein Phänomen, das mir in fast jedem Mandat begegnet: Anrufe von unbekannten Nummern werden blockiert. Emails oft nicht gelesen.Externe potenzielle neue Lieferanten mit vielleicht neuen Konzepten oder Produkten oder potenzielle Partner dringen schlicht nicht mehr durch. Die Begründung ist oft dieselbe: „Ich habe keine Zeit für noch mehr Themen.“
Was auf den ersten Blick wie Selbstschutz wirkt, ist in Wahrheit ein gefährlicher Blindflug. Denn genau diese Gespräche – die unerwarteten, unbequemen, externen Impulse – sind oft der Anfang besserer Lösungen.Stattdessen verengt sich der Informationsfluss auf das eigene Intranet und die bekannten Gesichter in der täglichen Teams-Session. Innovation? Fehlanzeige.
KPI-Fetischismus: Wenn Messen wichtiger wird als Verstehen
Ein weiteres Muster: Der fast religiöse Glaube an KPIs.On-Time Delivery, Forecast Accuracy, Inventory Turn – alles wird getrackt, gemessen, farbcodiert. Nur: Die Zahlen sagen meist, was passiert ist, nicht warum es passiert ist.
Das Ergebnis ist eine Organisation, die für den Report für höhere Managementebene arbeitet, nicht für den Kunden und sicher nicht für die Zukunft des Unternehmens. Die Präsentation sieht sauber aus, aber die operative Realität darunter bröckelt.Ich nenne das den KPI-Fetisch – und er ist einer der größten Resilienz-Killer im Supply Chain Management.
Warum das so ist
Die Ursachen liegen selten in mangelndem Können, sondern im System selbst.Viele SCM-Teams haben ihr unternehmerisches Denken verloren und verstehen sich als interne Dienstleister – nicht als Werttreiber. Dazu kommt Silo-Denken: Einkauf, Produktion, Logistik und Vertrieb laufen nebeneinander her, anstatt gemeinsam am Fluss der Wertschöpfung zu arbeiten.
Und schließlich fehlt oft die Führung, die Mut macht, Prioritäten zu setzen. Statt proaktiv zu gestalten, wird reagiert, gelöscht, nachjustiert. Operative Brandbekämpfung statt strategischer Weitblick und aktive Lösungssuche.
Wie kommt man wieder das Steuer im Griff
Wenn ich in Unternehmen komme, beginne ich selten mit Tools oder Systemen, sondern mit Haltung.Resiliente Lieferketten entstehen aus Entscheidungsfähigkeit, Offenheit und strategischem Denken – nicht aus Excel und PowerPoint.Vier Schritte machen den Unterschied:
1. Externe Öffnung und echtes NetzwerkmanagementNicht nur im Krisenfall mit Lieferanten sprechen, sondern regelmäßig. Frühwarnsysteme aufbauen, Marktdaten aktiv nutzen, geopolitische Entwicklungen verfolgen – das ist keine Kür, das ist Pflicht.
2. Zeitbudgets für Strategiearbeit einplanenIch empfehle meinen Teams: 20 % der Arbeitszeit gehören fix strategischen Themen. Wenn das operativ nicht machbar ist (ist aber oft durch klare Prioritäten), muss man entlasten – etwa durch Interim-Unterstützung. Nur so entsteht wieder Raum für vorausschauendes Denken.
3. KPI-RedesignWeg von Rückspiegel-Kennzahlen hin zu zukunftsorientierten Indikatoren: Lieferantenrisikoindex, Abhängigkeiten. Zahlen sollen leiten, nicht lähmen.
4. Leadership und Kommunikation stärkenSCM ist kein „Firefighting“, sondern „Value Chain Orchestration“. Wer führt, muss kommunizieren, entscheiden, zuhören – auch extern. Leadership ist hier kein weiches Thema, sondern ein strategischer Wettbewerbsfaktor.




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